Wir haben sie alle. Es sind diese Tage, an denen man am liebsten im Bett bleiben würde, mit der Decke über den Kopf gezogen, mit einer grossen XXL-Packung Taschentücher auf dem Nachttisch, mit der Schokolade in Reichweite, das Handy ausgeschaltet und einen Film schauend, bei dem man sich vor lauter Romantik am liebsten übergeben würde (so müsste man sich keine Sorgen um die tonnenweise verschlungene Schoki machen).
Wir sind die ewigen Singles.
Uns packt die Traurigkeit aus dem Nichts, wenn wir ein glückliches Paar in der Bar sehen und dann trotzdem ganz normal mit unseren Freunden weiterlachen, als hätten wir das Geknutsche nebenan nicht bemerkt. Wir sind die Singles, die sich eine Beziehung wünschen und trotzdem glücklich drüber sind, ihre Freiheit und Jungend noch voll auskosten zu dürfen.
Schlussendlich wollen wir doch alle immer das, was wir nicht haben oder nicht haben können. Am Abend will man in den Arm genommen werden und hören, wie wunderhübsch man doch sei, wie gut man rieche, wie perfekt der Abend gewesen sei. Man will kuscheln und das Gefühl haben, dass alles gut wird, wenn man mal einen schlechten Tag hatte. Eine Brust an die man sich stützen kann; einen Mund, den man ohne Schüchternheit küssen darf; Augen, die einem den Schmerz aussaugen; ein perfektes Lächeln, das so vertraut ist und Arme, die den besten Zufluchtsort bieten.
Wieso können wir das nicht auch haben? Sind alle anderen Frauen, die einen Mann an ihrer Seite haben, besser als wir? Was haben sie und wir nicht?
Oft lügen wir uns selber an, versuchen uns einzureden, dass etwas nicht stimmt. Dass wir zu gut für X seien, dass wir nicht cool genug für Z und intelligent genug für Y seien. Wir suchen verzweifelt nach Fehlern an unserem Körper, unserer Einstellung und an unserem Umfeld. Es fällt uns schwer, uns so zu akzeptieren, wie wir sind. Wir können uns keine Beziehung vorstellen, weil wir schon so lange Single sind. Etwas würde da nicht reinpassen in unser Leben, wenn plötzlich ein Mann an unserer Seite wäre. Sind wir beziehungsunfähig? Sind wir zu unabhängig? Das sollte doch etwas positives sein: eine Frau, die ihr Leben geniesst, keine Bestätigung braucht und genau das tut, worauf sie Lust hat.
Letztens saß ich im Tram und musste an den coolen Typen denken, den ich vor Kurzem kennengelernt hatte. Irgendwann erwischte ich mich dabei, wie ich den Kopf schüttelte und dachte "Pfff… Ich bin der ewige Single und es wird auch noch eine Weile so bleiben." Es fühlt sich inzwischen so normal an, niemanden an seiner Seite zu haben. Mit der Zeit wird man so selbstständig und stark, dass man niemanden mehr will. Man hat das Gefühl von niemanden genug geliebt zu werden, man traut niemandem und man will niemanden. Es wäre komisch, mit jemandem so viel Zeit zu verbringen, ihn den Eltern und den Freunden vorzustellen. Doch tief im Innern sehnt man sich irgendwie auf unerklärlicher Weise nach jemandem, der einem Schutz bieten kann.
Ob Beziehungsunfähigkeit eine richtige Krankheit ist, ist umstritten. Einerseits ist man nicht in der Lage sich zu öffnen und jedes mal, wenn es einigermassen ernst wird, rennt man weg und man findet irgendetwas zu meckern, was einem nicht passt. Andererseits kann ich bestätigen, dass auch diese Leute, die so auf Liebe regieren, alles vergessen, sobald die Ausnahme auftaucht.
Beziehungsunfähigkeit ist die Angst vor Bindung; die Angst davor, sich zu öffnen und jemandem vollen Zugang zu bieten. Das passiert, falls man enttäuscht wurde oder, e contrario, falls man weder enttäuscht noch geliebt wurde; wenn man es gar nicht erst kennt, wie es ist, jemanden zu haben, nach dem man sich sehnt. Aber sind wir nicht alle ein bisschen beziehungsunfähig? Mann oder Frau, das spielt keine Rolle. Wir alle haben Angst vor etwas, das uns zerstören könnte. Klar, gibt es die ewigen Sorry-Ich-Bin-Vergeben-Frauen/Männer(weniger), aber die gehen eh allen auf den Geist, drum ist dieser Artikel allen gewidmet, die sich täglich fragen, ob mit ihnen was nicht stimmt. Nein, mit euch stimmt alles! Die Ausnahme, die euch beziehungsfähig macht fehlt aber noch. Wenn man den Richtigen findet und es funkt, dann wird alles andere vergessen. Bereit für eine Beziehung ist man eigentlich nie. Es ist alles immer neu und ungewohnt. Doch wenn er kommt, dann springt man über seinen Schatten und falls man es nicht tut, dann heisst es, dass es einfach noch nicht so weit ist. Geplant wird nichts. Es passiert einfach… Die Knie werden zu Wackelpudding, die Schmetterlinge im Bauch flattern heftig herum und aus unserem Mund kommt nur noch Non-sense raus. Falls das passiert, dann dürft ihr euch auf keinen Fall umdrehen und so tun als hättet ihr den anderen nicht gesehen! Jaa ich weiss, es ist unerwartet gekommen und man ist verkrampfter denn je, aber wer weiss, wann man sich wiedersieht, ob man sich wiedersieht und dann liegt ihr abends im Bett und fragt euch, ob ihr beziehungsunfähig seid. Ihr überzeugt euch selber davon, dass es eine Krankheit ist und dass ihr nicht gut genug seid.
Macht mal einen Experiment. Geht zwei mal in den gleichen Club. Das erste mal lachend und behaltet das Lachen für die ganze Nacht auf den Lippen, das zweite Mal normal. Merkt euch, wie viele euch angeschaut haben, wie viele zu euch gekommen sind, wie viele mit euch tanzen wollten, wie viele euch zugezwinkert haben, wie viele gesagt haben: "Dein Lachen macht mir gute Laune!". Und fragt euch am Morgen danach, ob ihr beziehungsunfähig seid. Wenn ihr viele Komplimente bekommt, wird die Antwort "nein" lauten. Es ist alles Einstellungssache. Mit 50 darf man alles auf die Beziehungsunfähigkeit schieben, aber jetzt sind wir viel zu jung, um Ausreden für unsere Schüchternheit zu finden.
Wenn ihr nachts nach einem tollen Mädelsabend alleine heim lauft, dann dreht die Musik in euren Kopfhörern ganz laut und rennt, rennt, rennt. Spürt ihr den Wind? Wir sind frei und geniessen es, bis die Ausnahme kommt, bei der wir bereit sind, uns zu öffnen.
Foto: Lisa Marschner / Jugendfotos.de
Maga
Ich las den Artikel und dachte …wow…richtig gut, Dir aus der Seele geschrieben und dann ziemlich am Ende…der Schock. Mit 50 darf man alles auf die Beziehungsunfähigkeit schieben…
Im ersten Moment dachte ich, Du hast Dich verlesen…nein, das steht da wirklich. Wie um Himmelswillen kann man zu so einer Erkenntnis kommen?
Ich bin eine Frau, 51 Jahre jung oder alt (fühlen wir uns nicht alle mal so und mal so?) und ich bin Single und ich bin genau so beziehungsfähig und beziehungsunfähig wie eine Frau um die 30, 40…
Schade, denn diese Anmerkung, sie wertet diesen doch so Klasse geschriebenen Artikel ab…so irgendwie.
Hey ab 50 aufwärts ist man noch nicht tot und erlebt das Leben intensiv, wenn nicht intensiver denn je mit all seinen Facetten…
Kaya
Meine Liebe,
du hast vollkommen recht. Ich wünsche mir, dass ich mit 50 auch so eine positive Einstellung haben werde wie du und genauso jung im Kopf sein werde wie bis jetzt!
Ich möchte mich bei allen entschuldigen, die sich vor dieser Aussage beleidigt gefühlt haben.
Und doch habe ich das Gefühl dass es Frauen gibt, die mit 50 nicht so glücklich als ewiger Single sind wie du. Für diese Frauen möchte ich diese Ausrede gelten lassen, denn manchmal tut es der Seele einfach gut, sich nicht rechtfertigen zu müssen und die Schuld auf so etwas wie Beziehungsunfähigkeit zu schieben ;)
Für alle anderen: Weiter so!
katrin
Hey KAYA,
DANKE!
Hab den Artikel gelesen und nach den ersten paar Zeilen dachte ich mir nur JA! So ist es! Fühle mich grad sehr verstanden und bin froh, dass ich nicht alleine mit meinen Zweifeln bin
Alles liebe
Katrin
Kaya
Ich freue mich sehr Katrin! Nein, du bist nicht allein… es gibt uns immer und überall, aber es wird selten drüber geschrieben oder man gibt diesen Zustand und diese Gedanken nicht zu :)
Ümit
"Beziehungsunfähigkeit ist die Angst vor Bindung" so true… Für den ein oder anderen beginnt oftmals das richtige Leben erst mit 50 und bei dem ein oder anderen Endet es mit dem Alter… Wirklich toller Artikel, war mir eine große freude es zu lesen. :D
Lisa
Super Artikel! Sollte öfters thematisiert werden.