La romantique française vs. Deutsche Sachlichkeit

“Ohhhh, das wäre doch nicht nötig gewesen! Du Engel!”

“Aber klar doch, für dich nur das Beste.”

“Womit habe ich dich nur verdient?”

Ja, ich bin soweit, dass meine Monologe mit mir selbst sich zu filmreifen Dialogen entwickelt haben. Myriam_V3Mit mir selbst.

Und da ich das Beste bin, was mir je passiert ist, belohne ich mich gerne. Oft, übertrieben und für andere wohl eher unnötig. So beispielsweise nach meiner Russisch-Prüfung. Und nach meiner Linguistik-Prüfung. Nach meiner Lyrik-Klausur, einer Jogging-Runde, fürs Aufstehen morgens um 8 Uhr, fürs Sitzplatz-Anbieten im Bus, fürs Nicht-Ausrasten nach dem hundertsten “Gender Studies? Höhöhö, du hasst bestimmt Männer!” Und wenn bei mir in der Küche wunderschöne weiße Tulpen stehen, dann habe ich sie mir höchstwahrscheinlich selbst gekauft.

Wir sind zu uns selbst so oft garstig (ich denke, garstig erlebt ein Comeback, zumindest propagiere ich dieses), dass es so eine wohltuende Abwechslung ist, ganz gewollt und ganz demonstrativ liebenswürdig zu sich zu sein.

“Take a day to heal from the lies you've told yourself and the ones that have been told to you.”

– Maya Angelou

Um mich für meine 21,5 Jahre währende Existenz zu belohnen, bin ich für ein verlängertes Wochenende mit einer wunderbaren Freundin nach Paris gefahren. Ja, meine Belohnungen ufern ein wenig aus wie die Seine nach einer Sintflut.

Nach meinem Abitur war ich Au Pair für zwei lebensfrohe kleine Mädels im 17ème Arrondissement in Paris- der ohhhh so romantischsten Stadt der Welt. Das romantischste an Paris war für mich wohl, dass ich von meinem Bett aus die Lichtshow des Eiffelturms am Abendhimmel sehen konnte. Aber die Monsieurs- non, merci. Meine naiven Kleinstadt-Teenie-Vorstellungen von französischen Männern mit Wuschellocken und Fernweh-Blick sind damals zerschellt wie an hart gewordenem Baguette, oui oui.

Insofern belaufen sich meine Pariser Männer-Erfahrungen auf schleimige Ekel in der Métro.

“Ouhlala, ma belle! Magnifique!”

“Ja, fique du dich ins Knie.”

Der Rest der Pariser Männer schien entweder nicht interessiert, wie Narziss in die eigenen Wuschellocken und den Fernweh-Blick verliebt zu sein oder war… naja, eben nicht interessiert. Und auch der anfangs so vielversprechend wirkende Grundschullehrer, der mich so herrlich locker auf das Buch, das ich damals gerade las, angesprochen hatte (“Hey, hat der Autor nicht gerade den Nobelpreis für Literatur bekommen?” – “OUI!”), stellte sich beim zweiten Treffen als viel zu viel heraus.

“Kannst du nicht für immer bei mir bleiben? Ich will dich heute Nacht so gerne in meinen Armen halten! Du bist so strahlend und hell, du bist wie ein Stern.”

turm_der_liebe_makana_05-11-2006Ich glaube, meine Bestnote im Französisch-Abitur hatte mich nicht ausreichend vorbereitet, um la romantique française zu verstehen. In meinem Kopf schrillte nur ein großes “NON, NOOOON!”

Dem nächsten gab ich dann frühzeitig zu verstehen: Ich bin Deutsche. Ich spreche kein Schmalz. Barocker Liebesschwulst ist so 1650! Nunja, die Ernüchterung führte mich zu einer anderen großen Liebe: Französisches Gebäck. Auch gut.

Jetzt sitze ich also mit meiner Freundin im Marais in einem meiner Lieblingscafés, widme mich meiner großen, französischen Liebe, den Tartes au Citron, und lache über französische Wuschelköpfe, die über ihre eigenen Füße stolpern, weil sie wie Narziss im eigenen Spiegelbild versinken. Naja, in ihrem Spiegelbild im Schaufenster von Zadig & Voltaire bien sûr.

Und dann plötzlich verwerfe ich den Gedanken an ein Wörterbuch „La romantique française – Deutsche Sachlichkeit“, als er vorbeiläuft.

Plötzlich wird das so lebendige Marais still und langsam, meine Freundin ist weit, weit weg und ich verschlucke mich fast an meiner Tarte, denn er ist französische Ästhetik gepaart mit deutscher Schnörkellosigkeit in den Augen. Und er lächelt mich an. Ich huste Tartebrösel.

Als ich über mich und meine Unfähigkeit, auch nur annähernd sexy zu reagieren, lachen muss, lacht er plötzlich auch. Ein letzter langer Blick (c’est ça, Blickficken) und er ist um die Ecke gebogen. Dommage.

Aber mir bleibt die herrlich frühlingshafte Leichtigkeit, die mir in den Wochen seit der Trennung verloren geblieben ist. Und mit dem hübschen Wuschelkopf franco-allemand halte ich es wie mit allen kurzen, aber elektrisierenden Begegnungen.

Ich stelle mir mich als 95 Jährige vor, wie ich einem Forscherteam mit brüchiger Stimme erzähle: „Das Herz einer Frau ist ein tiefer Ozean voller Geheimnisse. Aber jetzt wissen Sie, dass es einen Mann namens Jack Dawson gab, und dass er mich gerettet hat, in jeder Weise, wie ein Mensch nur von einem anderen gerettet werden kann. Ich hab nicht mal ein Bild von ihm. Er existiert nur noch in meiner Erinnerung.“

Naja, für Jack Dawson füge ich dann eben „Typ im Marais“, „Kassierer im Supermarkt“ oder „Kerl mit putzigem Hund“ ein. Und dann behalte ich den blauen Diamanten schön für mich.

Und ihr, hattet ihr schon frühlingshaften Augensex? Nein? Na los! Und dann könnt ihr mir berichten, ich freue mich immer über Blickporno. Habt einen tollen Frühlingsanfang!

 

Fotos: Astrid Broqvist, Lisette Krause / www.jugendfotos.de

1 Comment

  • November 8, 2014

    Julia

    Myri, ich bin gerade dabei mir alle deine Posts durchzulesen und ich finde sie herrlich! :)
    Vor allem der “Kassierer im Supermarkt” hat mich schmunzeln lassen, da ich ja bestens informiert bin, wie das damals zwischen euch ablief. :)

    Paris fehlt mir! Und ich finde wir könnten uns auch mal wieder treffen!

    À bientôt ma belle.