Respect your selfie.

Montag Abend, 20.05 Uhr, ich liege am Boden. Nun könnte man meinen, ich sei am Boden zerstört, aber hell no! Am Boden breiten sich meine Haare so wunderbar schlangenartig um mich aus, ich bin die moderne Medusa. Und über mir nicht die Büchse der Pandora, sondern meine kleine lilafarbene Digicam. It's Selfie-Time.

Vor ein paar Monaten sollte ich auf der Kamera einer guten Freundin etwas nachgucken. Als ich aus Versehen dabei auf ihre Fotoshootings mit sich selbst gestoßen bin, hat sie mir schnell und verschämt die Kamera aus der Hand genommen, mit dem lautesten “Bitte verurteil mich nicht!”-Blick in den Augen.

“Oh, ach das, das sind nur… da war mir mal langweilig.”

 

Im Bus zur Uni höre ich zwei Mädels abfällig über eine Dritte reden, die ja “sooo selbstverliebt und aufmerksamkeitsgeil ist mit ihren zig Selfies. Echt peinlich, wenn man es so nötig hat.” Meine Augenbrauen heben sich vor Missbilligung weit, weit in meinen Haaransatz, über meinen Hinterkopf, meinen Rücken runter, zu meinen Füßen, bis sie sich irgendwann den Weg in mein Gesicht zurück bahnen.

 

Myriam_V3

Ich bin sowas von Pro-Selfie.

Wir haben echt schlimmere Probleme, als Leute, die sich hübsch finden und den Moment festhalten wollen.

Zum Beispiel Leute, die sich nicht hübsch finden.

 

Und wenn jemand Bilder von sich macht und mit denen zufrieden ist, sodass er oder sie sie sogar auf soziale Netzwerke hochlädt – hey, ich feier dich! Und dein Bild! Und deine geschürzten Lippen, deinen von dir weggestreckten Arm am Bildrand, deinen von der Kamera abgewandter Blick.

Selfies sind die Portraits der Gegenwart und sogar Höhlenmenschen haben ihre Existenz auf Wänden verewigt, also go girl, zeig der Welt, dass es dich gibt und dass du dich gut findest.

 

Ich persönlich konnte Fotos von mir nie leiden, Selfies wurden meist unverzüglich gelöscht. Vielleicht, weil ich sie hässlich fand, vielleicht aus Angst vor der Schmähe der ach so elitären “Selfie? Wie Peinlich!”-Menschen.

Heute gibt es auf meinem Laptop einen ganzen Ordner, der sich nur einem widmet… Mir.

Er heißt “Feast on yourself” und beinhält nur eines: Selfies. Feast on yourselfies.

 

“Does my haughtiness offend you?
Don't you take it awful hard
'Cause I laugh like I've got gold mines
Diggin' in my own back yard.

 

Does my sexiness upset you?
Does it come as a surprise
That I dance like I've got diamonds
At the meeting of my thighs? “ – Maya Angelou

 

Irgendwann fand ich es verdammt schockierend und traurig, wie man sich darauf trainieren kann, sich hässlich zu finden. Bis mir bei dem Wort trainieren der Gedanke kam, dass die eigene Wahrnehmung, das Körpergefühl, die Selbstliebe also vielleicht wie Muskeln sind.

Was nie benutzt wird, kann nicht stark sein.

Jetzt mache ich Bilder von mir, wie ich ungeschminkt im Bett liege, wie ich in Unterwäsche durch mein sonnendurchflutetes Zimmer tanze, wie ich mit Kekskrümeln im Haar und wohligem, nacktem Bauch vor meiner Webcam sitze und könnte ich bei meinem “Feast on yourself”-Ordner “Gefällt mir” klicken – ich würde, ich würde zehnmal, verdammt nochmal!

Representation matters. Und wenn ich Frauen wie mich nicht im Fernsehen, nicht in Zeitschriften sehe, dann muss ich sie mir selber zeigen, anstatt beim Zähneputzen vor'm Spiegel die Augen zu schließen.

Meine hohe Stirn ist jetzt Platz für viele gute Gedanken, mein Gewicht sagt nur aus, wie verdammt anziehend mich die Erdkugel findet und meine Augenringe täuschen vor, dass ich ein echt aufregendes Leben führe.

 

Oh und falls ihr mal Muskelkater habt, es nicht wirklich klappt, ihr nicht hinter der exzessiven Selbstliebe stehen könnt…- fake it till you make it!

8 Comments

  • Juni 8, 2014

    Tim

    Schönes Selfie ;)

  • Juni 8, 2014

    Anne

    Also ich muss zugeben: Bis jetzt war ich nicht so ein Selfie-Fan.
    Von mir existieren nur Gruppen-Selfies. Einzelfotos, gar nicht, wollte ich auch nicht. Fand ich doof. Hab ich gedacht. Was vermutlich aus purem Neid resultierte, da ich wegen meiner zittrigen Hände kaum ein normales Foto zustande bringe ;)
    Aber ich glaube, du hast mir einen anderen Blickwinkel verpasst – Danke! Wirklich schöner Beitag :)

  • Juni 11, 2014

    Myri

    Danke für eure lieben Kommentare! :) Es freut mich sehr, dass euch der Beitrag gefallen hat.

    Und Jennie, ich habe ein mütterliches Verständnis für Menschen, die Fishing for Compliments betreiben. Es tut eben gut, etwas positives zu hören und wenn dies nicht oft genug vorkommt, “fordert” man es eben heraus. Wenn es der Person danach besser geht – here you go :)
    Ich denke, das ist ebenfalls ein Faktor, der aus Schönheitswahn resultiert. Uns wird ständig gesagt, dass wir nicht gut genug, nicht schön genug sind und Selbsthass ist viel akzeptierter als jemand, der sagt “Hey Leute, ich bin genial, ich weiß es und ich liebe es”.
    Aber da stimme ich dir zu, das ist schade und das sollten wir ändern. Auf dass es bald keine Hashtags à la #ugly mehr gibt, sondern #OHHHH BIN ICH SCHÖN! UND DU AUCH!

  • Juni 19, 2014

    AMI

    Super Kolumne!
    Ich steh auch nicht so sehr auf Selfies, obwohl ich natürlich gern trotzdem Bilder von mir mag. Wenn ich irgendwo mit Freunden unterwegs sind, machen wir auch Fotos von uns. Einfach, um den Moment festzuhalten.
    Aber solche Leute wie Jennie sie beschreibt, finde ich auch furchtbar! Oder auch solche, die ständig Fotos von sich in Unterwäsche oder beim Sport posten – 20 Fotos am Tag auf Instagram. Grrrr, sowas kann ich haben.

    Aber ansonsten gilt: Wir sollten alle so viele Fotos von uns machen, wie wir können und wollen. Wenn wir mal alte schrumpelige Omas sind, werden wir uns diese Fotos bestimmt gern angucken und den Enkeln zeigen, was für eine sexy Lady die Omi mal war! :)