Wo immer Du bist

Als ich noch ein Kind war, da war der Tod für mich ein Begriff, den ich nicht greifen konnte. Ich verstand nicht, was es bedeuten sollte, dass ein Mensch stirbt, ich konnte mir nicht vorstellen, dass jemand einfach verschwindet und nicht wiederkommt. Lange waren Menschen für mich aber auch nur da auf dieser Welt, wenn ich sie sah oder zumindest mit ihnen sprach. Sobald sie außer Sicht-/ und Hörweite waren, konnten sie doch auch nicht existieren.

Du warst der erste Mensch in meinem Leben, der mir zeigte, dass es den Tod doch tatsächlich gibt. Ich hörte schon vorher davon, dass Bekannte von Bekannten von Mama und Papa starben, auch ein Haustier starb mal, aber das alles war anders. Du warst der erste Mensch, der starb, der mir nahestand und den ich liebte und erst da lernte ich, was es heißt, wenn jemand stirbt. Er ist weg und kommt nicht wieder und tatsächlich ist es knallharte Realität, dass man nie wieder die Chance bekommt, eine Entschuldigung nachzuholen oder etwas loszuwerden, wofür man lange zu feige war.

Ich war sechzehn Jahre alt, als du diese Welt verlassen musstest. Verdammt, sechzehn, das ist so ein verdammt ungünstiges Alter dafür. Ich war alt genug um zu verstehen, dass nach (Gott sei Dank kurzem Leiden) deinem Krebs der Tod eine Erlösung war, dass du alt warst und dein Leben am Ende ein glückliches war. Du hast euren 60-jährigen Hochzeitstag noch geschafft, 60 Jahre hast du mit der Frau verbracht, die du geliebt hast. Aber ich war zu jung um zu greifen, dass ich nie wieder Lebwohl sagen könnte. Ich war restlos überfordert und ich bin mir sicher, dass du es mir nicht übel genommen hast. Du warst, nein, du bist ein so herzensguter Mensch. Dennoch, es tut mir unendlich leid. Ich war in der Pubertät, ich war mit mir beschäftigt, mit meinem ersten Freund, der zu der Zeit auch mein erster Exfreund wurde, mit meinem Liebeskummer und all das hat es mir unmöglich gemacht, mich mit der Realität auseinanderzusetzen. Ich habe mich nicht getraut, mich zu verabschieden, weil ich dich nicht so sehen wollte. Ich wollte dein Bild vor Augen behalten, was ich seit Kindertagen vor Augen hatte, keines im Krankenhaus, mit Schläuchen und Nadeln. Heute sehe ich klarer und anders. Heute würde ich es gerne tun, aber das gehört wohl zu diesem Lernprozess dazu, zu der Konfrontation mit dem Tod: Heute geht es nicht mehr. Und doch bin ich mir sicher, dass du es liest oder hörst.

Es war an der Zeit für dich und jetzt ist es lange her, aber ich habe mich deinem Tod bis jetzt nicht 100%ig gestellt. Ich habe es irgendwo verbuddelt, wo es mir nicht allzu oft begegnet. Aber das ist falsch. Du bist nun seit sieben Jahren schon nicht mehr da. In meiner Vorstellung hast du irgendwo da oben mit Oma eine kleine schöne Wohnung, es scheint immer die Sonne, so dass du das ganze Jahr über deinen Garten hegen und pflegen kannst. Und wenn bei mir hier unten mal etwas schief läuft, passt du auf, dass es schnell wieder richtig läuft.

Der Tod wird mir im Leben noch oft begegnen, das weiß ich. Aber durch dich weiß ich jetzt, wie ich damit umgehen muss und dass ein Lebewohl unendlich wichtig ist.

Du fehlst mir, Opa H.

Deine Pia

 

Titelbild: pixabay.com (CC0)

4 Comments

  • März 4, 2015

    Angelika

    Der Tod ist der Punkt hinter allem. Ich möchte nicht, das hinter meinem ein Fragezeichen steht…

    • März 6, 2015

      Pia

      Hallo Angelika!
      Wie meinst du das genau, dass hinter deinem Tod kein Fragezeichen stehen soll?
      Meinst du damit, dass es dir Angst macht, den Zeitpunkt nicht zu kennen?