Als ich mich einmal um ein Stipendium für ein Internat in Sachsen beworben habe, musste ich für die Vorstellungsrunde einen Gegenstand mitbringen, mit dem ich mich identifiziere und mich den Mitbewerbern und Lehrern vorstellen könnte. Ich nahm meinen Wecker mit.
Ich erzählte der herrlich elitären Gruppe, dass ich extrem pünktlich sei, ich käme nie zu spät und würde Unpünktlichkeit als Zeichen von Respektlosigkeit werten.
Die Augen der Lehrer funkelten, als ich meine “Little Miss Perfect”-Rede hielt.
Ich bekam das Stipendium.
Heute, 6 oder 7 Jahre später, wer weiß das schon genau (man könnte annehmen, Little Miss Perfect, mit ihrem Wecker griffbereit), bin ich verdammt unpünktlich.
Bedauert nicht meine Freunde und Leute, mit denen ich Verabredungen treffe. 10 Minuten vor der ausgemachten Zeit bin ich am Treffpunkt, ich bin physikalisch immer noch pünktlich wie ein Schweizer Uhrwerk.
Ich bin emotional unpünktlich.
Wenn ich mich mit Männern treffe, freue ich mich vorrangig einfach darüber, jemand neuen kennenzulernen, fröhlich euphorisiert wie ein kleines Kind, dem man einen neuen Lolli hinhält. Ich treffe mich mit ihnen ohne Hintergedanken, ich hab keine “Erst beim zweiten Date küssen”-Regeln und kein “Date-Outfit”, weil ich schlicht und ergreifend nicht kapiere, was ein Date ist. An sich klingt das ja harmonisch, nach Friede, Freude und Erdbeerkuchen mit Mister X. Doch da kommt meine emotionale Unpünktlichkeit ins Spiel. Tadaaaa, Vorhang auf für den Bösewicht!
“Wie, du bist nicht interessiert?! Wir treffen uns seit einem Monat!”
“Ja… und…?”
“DAS HÄTTEST DU JA WOHL FRÜHER SAGEN KÖNNEN!”
Sehr geehrte Damen und Herren, unglücklicherweise ist die Myri auf Gleis 4 ca. drei Wochen emotional verspätet. Wir bitten um Ihr Verständnis und entschuldigen uns für die Unannehmlichkeiten.
Ups. Woher weiß ich denn, dass wir uns treffen-treffen? Woran merke ich, dass besagter Mister X (oder auch Herr Y, Sir Z, …) interessiert ist?
Vielleicht bin ich naiv, aber ich freue mich einfach unendlich über neue zwischenmenschliche Beziehungen – ich liebe es, mit jemand Fremden zu lachen, zu merken, dass wir viel gemeinsam haben, dass er es mag, wie ich den Schaum meines Chai Lattes vom Löffel küsse… – solche Treffen kreieren bei mir Sonne im Kopf und davon kann man nie genug haben.
Nachdem ich mir also mehrmals Vorwürfe à la “Du machst einem nur zum Spaß Hoffnungen!”, “Was denkst du denn, wieso ich mich mit dir getroffen habe?!” (Oh, also nur zum Koitus, das hättest DU aber auch mal früher erwähnen können!) oder auch den Klassiker “Du spielst doch nur mit anderer Leute Gefühle!”, habe ich mir vorgenommen, emotional pünktlicher zu sein und rechtzeitig deutlich zu machen, was ich mir von Treffen erhoffe, wie meine derzeitige emotionale Lage ist, ob ich nur Freundschaft will, und und und… Einen pünktlichen emotionalen Lagebericht sozusagen.
Bisher fühle ich mich damit gut. Keine verletzten Gefühle, keine falschen Hoffnungen und ich kann ohne schlechtes Gewissen durch das Leben gehen – mit jemandem an meiner Hand, der weiß, was ich will, oder eben alleine.
Der alte Mann im Bus neulich, der sich auf den freien Platz neben mich setzen wollte, und dem ich vorsorglich emotional überpünktlich “ICH BIN NICHT INTERESSIERT! DAS IST KEIN DATE! ICH WILL NUR SPASS!” entgegen gerufen habe, wirkte irritiert.
Aber er hat sich bestimmt keine falschen Hoffnungen gemacht.
Foto: Yvette Wenzel / www.jugendfotos.de
Stefan
es ist an sich ziemlich naiv, sorry, aber um das mal einfach runter zu brechen: die meisten Männer haben auf Freundschaften zu Frauen keinen bock, da diese Freundschaften, ich sprech da aus Erfahrung, meist nur total anstrengend sind. und ob Man Interesse hat, ist eigentlich ziemlich offensichtlich. wenn ich irgendwen anspreche und ne Nummer bekomme, bin ich weiß Gott nicht auf Freundschaft aus. Klar sieht das jeder anders und ich spreche da nicht für alle Männer, aber so ist bei mir und meinem Bekanntenkreis die Erfahrung.
Jan
so siehts aus!
Der nachdenkliche Mann
Also ich finde diese “emotionale Unpünktlichkeit” eigentlich ziemlich cool. Ich würde das mal als Aufgeschlossenheit bezeichnen. Wer sagt denn, dass man jede neue Bekanntschaft sofort definieren muss? Ich brauche das auch nicht.
Wenn ich merke, dass ich interessiert bin, dann werde ich das deutlich machen und das ansprechen. Aber dass Leute davon ausgehen, dass es eine bestimmte Art des “Treffen-treffen” gibt, ohne dass man darüber mal gesprochen hat, das kann ich nicht nachvollziehen.
Ich finde es absolut wichtig, dass man ehrlich und offen miteinander umgeht und einander sagt, was man will. Und da nehme ich dann auch kein Blatt vor den Mund. Diese stillschweigende Annahme, der andere wisse schon, was man will, ist doch Blödsinn. Woher sollte er das wissen?
Und wenn man am Anfang noch nicht weiß, was man von einer bestimmten Person will, ist das auch ok – aber auch das kann man ja mal so ansprechen. Klar, sexuelles Interesse bemerkt man schnell. Aber das ist ja nur ein Teilaspekt.
Myriam
Ich muss dazu wohl sagen, dass es nicht um Bekanntschaften geht, die eindeutig etwas bestimmtes anstreben, wie wenn man beispielsweise eine Nummer zugesteckt bekommt oder Ähnliches, sondern eher um Bekannte, mit denen man sich dann öfter mal trifft, Freunde von Freunden, etc.
Da gehe ich nicht sofort von “mehr” aus, sondern genieße es erst mal.
Und lieber Stefan, was ist denn an den Freundschaften zu Frauen so anstrengend? Ich bin neugierig. So naiv das auch sein mag, ich glaube immer noch an Freundschaften zwischen Frauen und Männern :) Auch wenn so viele abstreiten, dass das möglich ist.
Stefan
jetzt erst gesehen, gibt ja leider keine benachrichtgungsfunktion hier^^
also anstrengend? mal überlegen: was mir häufig unterkam, war, den vermeintlichen Kumpel als Seelenmülleimer zu sehen, also jeglichen seelischen Ballast auf ihn abzwälzen. klar gibt es das auch von Frau zu Frau, aber ich will hier aus meiner Sicht schreiben. Was sonst noch häufig anstrengend ist: Überempfindlichkeit. Wenn ich nem Kumpel mal aus Spa nen fiesen Spruch reindrücke, ist nicht leich Holland in Not, bzw. wnen man zu weit geht, wird man mal zurecht gewisen. Viele Frauen neigen in diesen Dingen jedoch zum rumzickenUnd ich betone auch hier wieder, ich schere nicht alle über einen Kamm, aber das ist meine Erfahrung bisher ;) das letzte was mir noch zum anstrengend sein einfällt: das Thema “friendzone”. WIe kommt man auf den Trichter nen Kerl hat an einer Interesse und sie sagt ne will nur mit dir befreundet bleiben, dass Mann seine gefühle einfach abschaltet. mir würd das im Leben nie einfallen.
Hab mich jetzt doch weitausausführlicher ausgelassen, als ich wollte, aber hoffe das hat meinen Standpunkt dir ein wenig klarer gemacht ;)
dein vater
wenn eine frau von einem typen angesprochen wird, ihm ihre nummer gibt und dann denkt, dass seine ziele gemeinsames eis essen und tolle gespräche sind, dann, tja dann….ist die frau ziemlich doof in der rübe und der junge mann sollte schnell weg rennen.